Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

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Tagungsberichte von Prof. Dr. Gesine Foljanty-Jost

Chancen und Risiken von Dezentralisierung - Deutschland und Japan im Vergleich

Die Reform der Kommunalpolitik steht seit Jahrzehnten in Japan und Deutschland auf der politischen Agenda und hat in beiden Ländern zu teilweise weitreichenden Veränderungen im Verhältnis von Staat und Kommunen, bzw. von Kommunen und Bürgern  geführt.
 Das Zusammentreffen einer Krise der kommunalen Leistungsfähigkeit mit dem Begehren der Bürger nach mehr Beteiligung hat in beiden Ländern Reformprozesse in Gang gesetzt, die noch nicht abgeschlossen sind. Die Aufmerksamkeit richtete sich auf die Effizienz der Kommunen als unterster Verwaltungsebene und maßgeblichem Leistungserbringer für die Bürger und Bürgerinnen und den Problemen vieler Kommunen, diese Rolle angesichts sich verschärfender  Finanzrestriktionen weiterhin erfolgreich zu spielen.  
 Wege aus diesem Dilemma sind in Deutschland und Japan durchaus  ähnlich und folgen der Doppelstrategie, neue Steuerungsmechanismen mit neuen Partizipationsangeboten zu kombinieren.
 Der Formulierung und Umsetzung der Reformen war Gegenstand eines Symposium, das mit Unterstützung des Japanisch-Deutschen Zentrums Berlin am 28.9.2007 in Tokyo stattfand. Das Kooperationsvorhaben zwischen der Waseda-Universität in Tokyo und der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, das von dem Verwaltungswissenschaftler Koichi Agata und der Japanologin Gesine Foljanty-Jost organisiert und geleitet wurde, stellte folgende Themen in den Mittelpunkt der Diskussion: Finanzrestriktionen und kommunale Innovationskapazität, Ökonomisierung der Kommunen, Politisierung der Kommunalpolitik durch neue Formen der Partizipation und neue politische Akteure sowie die Rolle der Gemeinderäte im Reformprozess.
 Die zentrale Leitfrage lautete, wie die Leistungsfähigkeit der Kommunen trotz demografischen Wandels und chronisch knapper Finanzmittel erhalten und die Legitimationskrise auf kommunaler Ebene überwunden werden kann.
 Die Ergebnisse der Diskussionen, an denen sich neben Politikwissenschaftlern und Verwaltungswissenschaftlern aus Deutschland und Japan auch Gemeinderäte und Vertreter der Kommunalverwaltungen beteiligten, lassen sich wie folgt zusammenfassen:
 Die Reformen finden in beiden Ländern unter sehr unterschiedlichen systemischen Voraussetzungen statt: In Deutschland geschieht  die Modernisierung der Kommunalpolitik vor dem Hintergrund einer langen föderalen Tradition. Die Reformen zielen auf eine Reduzierung von funktionalen Schwachstellen des Systems ab, ohne einen grundlegenden Paradigmenwechsel zu bedeuten. Demgegenüber findet in Japan die Dezentralisierungsreform vor dem Hintergrund einer  traditionell starken zentralstaatlichen Dominanz statt. Die Dezentralisierungsreform zielt auf eine grundlegende Neustrukturierung des Verhältnisses von Zentralstaat und Gebietskörperschaften im Sinne einer funktionalen, horizontalen Arbeitsteilung. Sie impliziert daher einen grundlegenden Paradigmenwechsel im politischen System Japans.
 Gleichwohl sind in beiden Ländern die grundlegenden Ansätze der Reformpolitik weitgehend identisch. In Deutschland wie in Japan   liegt das Hauptaugenmerk auf einer Modernisierung der Kommunalverwaltung mit dem Ziel der Effizienzsteigerung. In Fortführung des britischen Public-Management-Ansatzes richtet sich die Modernisierung vor allem auf Effizienzsteigerung durch die Einführung neuer Steuerungsverfahren in der öffentlichen Verwaltung. Als wesentliche Elemente sind u.a. Qualitätskontrolle, Privatisierung öffentlicher Dienste, Neudefinition des Bürgers als Kunden zu nennen. Ziel ist die Verbesserung der Effizienz  von Verwaltungshandeln.
 Gleichzeitig sind neue Partizipationsmöglichkeiten der  Bürger(innen) an der Formulierung und Implementation von Kommunalpolitik eingeführt worden. Hierzu zählen die Einführung direktdemokratischer Verfahren wie die Direktwahl von Bürgermeistern in Deutschland oder die Einführung des Referendums in Japan.
 Beide reformstrategischen Ansätze finden unter dem Diktat massiver Finanzrestriktionen statt. Wie Jun Katagi (Tokyo/ Waseda) betonte, sind kommunalpolitische Innovationen als Reaktionen auf die Finanzmisere zwar nachweisbar, umgekehrt aber dürfte die mangelnde Finanzautonomie in beiden Ländern das größte Risiko für die Modernisierung der Kommunen sein.
 Bei aller Vergleichbarkeit der Strategien kommunalpolitischer Modernisierung unterscheidet sich der Fokus des Diskurses in beiden Ländern offenkundig. So machten die Vorträge der deutschen Referent(inn)en Jörg Bogumil (Bochum), Anette Zimmer (Münster) und Sabine Kuhlmann ( Potsdam) deutlich, dass in Deutschland gegenwärtig die Schwerpunkte der Debatte auf Fragen der Ökonomisierung der Kommunen und den Wirkungen neuer Steuerungsmechanismen für die Effizienz von Kommunalpolitik liegen, wogegen Bürgerbeteiligung sowohl in der kommunalpolitischen Praxis als auch im wissenschaftlichen Diskurs an Bedeutung verloren hat.
 In Japan sind demgegenüber neben und vergleichsweise unverbunden mit der Diskussion über neue Steuerungsmechanismen  in der Kommunalverwaltung die Dezentralisierungsreformen mit der Hoffnung auf einen Demokratisierungsschub von unten verbunden. Die Vorträge von Minoru Tsubogo (Tokyo/ Waseda) und Katsumi Yorimoto (Tokyo/ Waseda) wiesen auf die Bedeutung von lokalen Wählerinitiativen und der Gewerkschaft des regionalen öffentlichen Dienstes hin, die beide für das Aufbrechen der verkrusteten Kommunalpolitik haben. Insbesondere die Reform der Gemeinderäte, die in Japan zwar professionalisiert sind, politisch jedoch keine aktive Rolle spielen, in Richtung auf eine Politisierung und Aktivierung als Kontrollorgane der (direkt) gewählten Bürgermeister steht im Mittelpunkt der Demokratisierungserwartungen auf japanischer Seite. Diese sind normativ geprägt von der Annahme, dass neue Formen direktdemokratischer Beteiligung die zunehmende Politikferne der lokalen Bevölkerung beenden und durch  bürgernahe Kommunalpolitik die Akzeptanz von Politik durch den Bürger erhöht wird.
 Die abschließende Frage einer japanischen Diskutantin, was Japan von Deutschland lernen könnte, ist angesichts der genannten Unterschiede nicht leicht zu beantworten und abhängig von dem Fokus des Vergleichs.
 Eine Publikation der Beiträge zu dem Symposium ist zunächst in Japan vorgesehen.

 Gesine Foljanty-Jost

Environment and Science - Concepts and Strategic Goals for the Future: eine Präsentation deutscher Umweltforschung in Japan

Vom 9.-11.4.2005 fand in Tokyo der Kongreß “ Environment and Science – Concepts and Strategic Goals for the Future” als einer der Auftaktveranstaltungen der sogenannten “Wissenschaftssäule” im Rahmen des Deutschlandjahrs statt. Konzipiert und in Zusammenarbeit mit der Außenstelle des DAAD in Tokyo organisiert von den Professoren Peter Wycisk und Gesine Foljanty-Jost von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg war Ziel dieser Konferenz, deutsche Umweltforschung in ihrer ganzen Breite in  Japan zu präsentieren und Wege zu neuen Wissenschaftskooperationen zu eröffnen.

Das Programm
In den zwei Tagen der Konferenz, deren Bedeutung für das Deutschlandjahr durch die Begrüßungsworte des deutschen Botschafters in Japan, des Präsidenten der DFG, des Vizepräsidenten des DAAD, des Präsidenten der JSPS sowie der Generalsekretärin des Japanisch-Deutschen Zentrums Berlin unterstrichen wurde, stellten führende Umweltwissenschaftler aus den Bereichen Politikwissenschaft, Rechtswissenschaft, Betriebswirtschaft, Geowissenschaften, Ingenieurwissenschaften, Physik und Chemie ihre Forschungsergebnisse vor.
Den Auftakt machten Keynotes der Professoren Hartmut Grassl (Max Planck Institut für Meteorologie, Hamburg) und Ernst Ulrich von Weizsäcker (MdB).  Von Weizsäcker formulierte die zwei zentralen Leitgedanken der Konferenz angesichts der sich abzeichnenden Klimakatastrophe: Energieeinsparungen und eine radikale Erhöhung der Effizienz von Resourcennutzung sind der unverzichtbare Weg der vor allem von allen Industrieländern beschritten werden muß, um das Kyoto Protokoll erfolgreich umsetzen zu können.
Effizienzsteigerung in Produktion und Konsum, Verlängerung von Produktlebenszyklen sowie neue Technologien im Bereich der Produktion und Nutzung von Energie waren denn auch die Themen, die sich als roter Faden durch die Sektionen “Environmental Policies and Ecological Modernisation”, “Resource Protection and Recycling Management”, “Environmental Economy and Sustainable Companies”, “Law and Collective Goods”, “Environmental Assessment” und “Technical Innovations and Concepts” zogen. In jeder Sektion wurde der deutsch-japanische Dialog durch einen Kommentar eines japanischen Kollegen eingeleitet, der Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen aktuellen Forschungsthemen und umweltpolitischen Optionen deutlich machte.
So zeigten sich Unterschiede weniger im Bereich der Natur- und Technikwissenschaften als vielmehr in politischen Strategien der Umsetzung des Kyotoprotokolls.
Diese standen im Mittelpunkt der abschließenden Podiumsdiskussion. Ausgerichtet vom Japanisch-Deutschen Zentrum Berlin und moderiert von Gesine Foljanty-Jost (Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg) diskutierten Martin Jänicke (FU Berlin), Fritz Vahrenholt ( RE Power Systems AG), Shinichi Imai (Matsushita Electric Industrial Co., Itaru Yasui (United Nations University) and  Tetsuro Fukuyama (Democratic Party) aktuelle Aufgaben sowie zukünftige Perspektiven deutsch-japanischer Zusammenarbeit.


Ergebnisse
Deutschland und Japan haben ähnliche Ausgangsbedingungen im Hinblick auf die anstehende Umsetzung des Kyotoprotokolls: beide Länder sind stark Export-orientiert, sie sind abhängig von Rohstoffimporten und gelten weltweit als technologische Trendsetter. Hieraus ergeben sich vergleichbare Aufgaben und Anforderungen: beide Länder sind gefordert, ihre Rohstoffabhängigkeit durch eine radikale Erhöhung der Ressourceneffizienz sowie Energieeinsparungen zu reduzieren.
Unterschiede ergaben sich indessen in der Frage der Umsetzungsstrategien. Anders als in Deutschland existiert in Japan nach wie vor keine Ökosteuer. Nachdem erst jüngst ein Vorstoß der Opposition gescheitert ist, wird eine Einführung in den nächsten Jahren wird als unwahrscheinlich eingestuft.
Als eine Ursache hierfür war auch in Einzelbeiträgen japanischer Kollegen auf mangelnde Politikintegration und Zersplitterung der für Umweltfragen zuständigen Ministerien hingewiesen worden.
Die Initiative für eine Erhöhung von Energieeffizienz liegt in Japan – politisch gewollt – weit aus stärker bei der Industrie als in Deutschland.
Während aus deutscher Perspektive der Nationalstaat gefordert ist, weitergehende konsistente Rahmenbedingungen für eine ökologische Modernisierung der Volkswirtschaft zu formulieren, geht die neuere japanische Diskussion von einer Relativierung des Staates und einer “Partnerschaft” von Staat, Wirtschaft und Zivilgesellschaft aus. Insbesondere letzterem kommt aus Sicht der japanischen Industrie eine besondere Rolle zu, da – so das Argument- die technologischen Grenzen von Energieeinsparpotenialen bei Elektrogeräten in vielen Fällen bereits erreicht sind und Fortschritte nur noch durch eine radikale Veränderung von Konsumgewohnheiten und Lebensstil erzielt werden könnten.


Perspektiven deutsch-japanischer Kooperation
Kooperation zwischen Deutschland und Japan in der Umweltpolitik geht bereits auf die frühen 1980er Jahre zurück, als Japan in Deutschland als Vorreiter in der Luftreinhaltung diskutiert wurde. Die Umdrehung des Verursacherprinzips, die Abgabe auf Schwefeldioxidemissionen und das Kompensationssystem für umweltbedingte Gesundheitsschäden galt damals als innovativ. Seit der Konferenz von Rio im Jahre 1992 wird deutsche Umweltpolitik in Japan als vorbildhaft rezipiert. Vor allem die Abfallwirtschaft, das Duale System und die Ökosteuer haben die japanische Diskussion der letzten Dekade stark beeinflußt.
Lernen voneinander findet es also seit langem statt, beim Aufbau von direkter Kooperation hat sich allerdings die Sprach- und Kulturbarriere immer wieder als große Herausforderung dargestellt.
In der aktuellen Situation, in der beide Länder mit der Umsetzung des Kyotoprotokolls gefordert sind, sollten – so die Einschätzung der Panelisten – Deutschland und Japan als technologische Leitnationen ihre ökologische Pionierrolle ausbauen. Insbesondere sollten Deutschland und Japan im Technologietransfer nach China und Indien eine zentrale Rolle übernehmen und die dortige wirtschaftliche Entwicklung mit ökologischem Know-How unterstützen. Es wurde Einvernehmen darüber erzielt, dass neben gemeinsamen Forschungsprojekten beispielsweise in den Bereichen Umwelterziehung, Umweltbewußtsein und Konsumverhalten, Materialwissenschaften, Risk management und Umweltinformationssystemen, zukünftig vor allem Zusammenarbeit im Bereich der Forschungsvernetzung von Nachwuchswissenschaftlern gefördert werden sollte.
Die diesbezüglichen neuen Programminitiativen der DFG/ JSPS und des DAAD, die anläßlich der Konferenz bekanntgegeben wurden, wurden in diesem Zusammenhang ausdrücklich gewürdigt. http://tokyo-environment2005.uzu.uni-halle.de

Deutsch-Japanische ökologische Sommerschule in Halle

Am Seminar für Japanologie hat vom 26.9. bis 8.10.2004 unter Leitung von Prof. Dr. Gesine Foljanty-Jost und mit Förderung des DAAD eine Deutsch-Japanische ökologische Sommerschule stattgefunden. Im folgenden werden die Erfahrungen in einem Abschlußbericht zusammengefasst.

Final Report:
German-Japanese Summer School for Students "Strategies for Sustainable Development in Japan and Germany" Halle (Germany), September 26 - October 8, 2004


In the fall of 2004, a binational summer school took place in Halle, Germany. Due to the generous support of the German Academic Exchange Program (DAAD), ten students from various Japanese universities and ten students from the Martin-Luther-University Halle-Wittenberg (MLU) joined together to study environmental policies in Germany and Japan. They heard lectures, went on excursions, and discussed in small groups about the state of environmental policy in both countries. Prof. Dr. Gesine Foljanty-Jost served as the organisator and head of the summerschool. She was supported by two assistant professors and two student assistants. The main goals of bringing together students from Japan and Germany in a summer school were :


- up of motivation for Japanese students to study in Germany by introducing German university life
- teaching of comparative analysis of environmental policies in both countries
- intercultural exchange and cooperation


The program
The program included daily lectures on environmental policy in both countries, . recycling and waste management, and energy policies. Lectures were supplemented by small binational study groups which deepened the issues risen in the lecture and extended knowledge by further reading materials. These were compiled in a reader prepared for the summer school as a kind of text book., which proved to be a useful basis for discussions in the study groups and also as further reference to be used by the students after the end of the summer school. The analytical reflection in the classroom was combined with field research at a landfill site used for waste disposal, a waste separation plant run by a recycling company, a power plant run with lignite coal, a chemical plant which produces mostly plastics, and a former lignite coal mine which is now being reconverted into some "natural" state. The excursions stimulated discussions among the students concerning the urgent need for a coherent strategy of sustainable development in modern industrial societies. At the last two days of the summer school students worked in study groups on their final presentation., which finally offered an interesting insight into the students view on sustainable development.

Cultural Activities
As for the promotion of intercultural exchange, many participants expressed admiration at the atmosphere of sincere efforts for understanding which marked the proceedings. Free time was used to introduce the university of Halle to the Japanese students as a place that welcomes Japanese students,. Especially successful in terms of intercultural exchange was a "homestay evening" when German students invited one or two Japanese participants to their homes for dinner and a German-Japanese soccer match. These cultural activities were strongly supported by the German student assistents, who were in charge of organizing most of the extra activities like sightseeing tour, visit of students pubs and the like. The success of the exchange manifested itself in a lively farewell party which saw many heartfelt good-byes.

Final conclusions
According to the final evaluation, the students considered the program has been a great success, both with regard to stimulating the students' interest in, and perspective on, environmental issues, as well as with regard to promoting an intercultural exchange that succeeded in transcending common stereotypes of Japan and Germany. This success seems to be closely linked to the structure of the program which combined lectures with excursions and discussions in small groups.
The longterm effects of this particular summer school remain to be seen. In general terms, the experiences from Halle appear promising. Summer schools for Japanese and German students provide an innovative form of short-term student exchange which seems to bear great potential. Summer schools may serve as "appetizer" for studying in Germany (or Japan). Summer schools thus can serve as a strategy to stimulate mutual interest in students exchange and create lon gterm issue related networks of young academics in Germany and Japan.

Deutsch-japanisches Historikerkolleg „Nationale Identität und ,Vergangenheitsbewältigung‘ in Deutschland und Japan nach 1945“

Vom 7. - 19. November 2003 fand an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg das deutsch-japanische Historikerkolleg zum Thema „Nationale Identität und ,Vergangenheitsbewältigung‘ in Deutschland und Japan nach 1945“ statt. Dieses innovative Ausbildungsvorhaben wurde durch die großzügige Unterstützung des DAAD, des Kultusministeriums Sachsen-Anhalt sowie der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg ermöglicht.

Das Besondere an diesem Kolleg, dass als Veranstaltung der Fächer Geschichte und Japanologie der MLU durchgeführt wurde, war, dass japanische und deutsche Studierende die Thematik gemeinsam erarbeiteten. Es nahmen insgesamt 14 Studierende von 10 japanischen Universitäten und 16 Studierende der MLU teil.

Die Arbeit der Studierenden konzentrierte sich auf den deutsch-japanischen Vergleich von Vergangenheitsbewältigung und Formen der Erinnerungsarbeit. In Zusammenarbeit der Historiker Prof. Michael G. Müller (MLU), Prof. Manfred Hettling (MLU) und Prof. Akira Matsumoto (Niigata University) sowie der Japanologen Prof. Gesine Foljanty-Jost und TinoSchölz  (beide MLU) wurden die jeweiligen im Kontext der Fragestellung des Kollegs zu behandelnden Themen in Vorträgen vorgestellt und in Arbeitsgruppen von den Studierenden bearbeitet und vertieft. Auf Deutsch, Englisch und Japanisch setzten sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit der jüngsten Geschichte ihrer Länder auseinander und machten in deutsch-japanischen Diskussionsgruppen neue Lernerfahrungen. Diese wurden durch gemeinsame Exkursionen nach Buchenwald und zu Stätten der Erinnerung in Berlin sowie dem Besuch der Ausstellung „Verbrechen der Wehrmacht“ weiter vertieft. Im Verlauf des Kollegs konnte herausgearbeitet werden, dass es vor allem folgende Faktoren sind, die maßgeblich den unterschiedlichen Verlauf der Erinnerungsarbeit in beiden Ländern begründen.


Bericht zur Herbstakademie des IGK Halle-Tokyo von Dr. M. H. Sprotte

Bürger- und Zivilgesellschaft sind in der jüngeren Vergangenheit zu einem wichtigen Bezugspunkt der gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Debatte wie auch der Praxis vieler Menschen in Deutschland und Japan geworden. Als hochindustrialisierte und wissensbasierte Gesellschaften, die nach den militärischen und moralischen Niederlagen 1945 einen vorher nie gekannten Wohlstand erarbeitet haben, finden solche Diskussionen vor dem Hintergrund analoger Problemlagen statt.

Nach zwei Akademien des 2007 von der DFG und der Japan Society for the Promotion of Science an den Universitäten Halle-Wittenberg und Tōkyō eingerichteten Internationalen Graduiertenkollegs „Formwandel der Bürgergesellschaft“, die sich mit allgemeinen Fragen der Bürgergesellschaft in Deutschland und Japan auseinandersetzten, widmete sich die Herbstakademie vom 05. bis 10. Oktober 2008 in Halle diesmal ausgewählten Frage stellungen.

Den Auftakt der Akademie bildete ein viertägiger Workshop der Kollegiat(inn)en. Hier wurde, unter Leitung von Dr. R. Sprengel (Universität Halle-Wittenberg / Maecenata-Institut Berlin), am 05. Oktober zunächst in Arbeitsgruppen, in bewusster Abgrenzung zu einer national staatlichen Perspektive, das Verhältnis von Bürger und Kommune in beiden Ländern diskutiert. Im Mittelpunkt der Diskussionen standen dabei Aspekte (1) des Erfolges und der Behinderung bürgerschaftlichen Engagements in den Kommunen, (2) Handlungsvorschläge zur Stärkung dieses Engagements und (3) vergleichende Aspekte der Bürgergesellschaft in Japan und Deutschland.

Auf kommunaler Ebene konzentriert sich bürgerschaftliches Engagement vorwiegend auf die Themenbereiche Sport, Kultur und den sozialen Bereich. Im Mittelpunkt stehen dabei die Daseinsvorsorge und die Steigerung der eigenen Lebensqualität im unmittelbaren Umfeld. Vor allem Proteste entstehen aus unmittelbarer Betroffenheit. Die bürgerschaftlich Engagierten verfügen hauptsächlich über einen hohen sozialen Status, was andererseits auf eine Exklusion von Randgruppen hindeutet. Für die Bundesrepublik gelte, daß das föderale System Erfolge bürgerschaftlichen Engagements fördere.

Erfolge bürgerschaftlichen Engagements können in einer Stärkung der Kommunen und einer Förderung der Transparenz liegen. Normative Vorgaben (z.B. Menschenrechte) unterstützen dies. Je nach Vorhandensein von Infrastruktur und Ressourcen kann bürgerschaftliches Engagement gefördert und unterstützt werden oder im Falle von deren Abwesenheit zu einem Gefühl der Machtlosigkeit und des Desinteresses führen, die ihrerseits wiederum Engagement blockieren.

Für Japan wurde das Klischee hinterfragt, daß es auf kommunaler Ebene weniger aktive Bürger gebe, da die kommunalen Kompetenzen, etwa im Falle von Erziehungs- und kulturellen Fragen durch ein übermächtiges Kultusministerium, eingeschränkt seien. Aufgrund längerer Arbeitszeiten, so die gängigen Vorstellungen, beschränke sich die Gruppe der Engagierten auf Ehefrauen und Rentner. Da die Liberaldemokratische Partei (LDP) als konservative Kraft dauerhaft an der Macht sei, seien die Bereiche des Engagements begrenzt, zumal vor allem in ländlichen Regionen die Parteimitgliedschaft für das soziale Fortkommen von großer Bedeutung sei. Schließlich wurde die Tragfähigkeit des Erklärungsansatzes, Unterschiede beider Länder seien vor allem aus dem Gegensatz von zentralstaatlicher Organisation in Japan und föderalen Systems in der Bundesrepublik heraus zu erklären, diskutiert. erörtert.

Beiden Ländern gemein ist offenbar eine hierarchische Beziehung von Bürgergesellschaft und kommunaler Verwaltung, wobei gleichermaßen schrittweise eine zunehmende Öffnung der Administration unter dem Motto „Der Bürger als Kunde“ zu beobachten ist. Auch wenn in Japan ein größeres Vertrauen in Politik und Verwaltung zu herrschen scheint, fördert hier wie da die persönliche und räumliche Nähe zu Problemen das Engagement des Bürgers.

In einem Gastvortrag zum Thema „Subsidiarität im Wandel: Public Private Partnership und kommunale Daseinsvorsorge“ befaßte sich Dr. Matthias Freise (Universität Münster) sich mit der Ambivalenz der freiwilligen kommunalen Daseinsvorsorge zur Entlastung der kommunalen Haushalte. Hier erweisen sich privat-öffentliche Partnerschaften (PPP) - eine Kooperation öffentlicher und nicht-staatlicher Akteure unter Beibehaltung ihrer Identität zur Zusammenführung und Poolung von Ressourcen im Bereich spezieller policy issues mit dem Ziel, Synergieeffekte zu erreichen - als langfristiges Steuerelement der Produktion von Diensten und Gütern der öffentlichen Daseinsvorsorge.

An Fallbeispielen aus dem Raum Münster zeigen sich nachhaltige Veränderungen der Kooperationsmodi durch den Risikotransfer auf zivilgesellschaftliche Organisationen. Effizienz und Kostensenkungspotentiale werden dabei betont. Die Folge ist die Entlassung des Staates aus seiner Garantiefunktion. Auf seiten der zivilgesellschaftlichen Organisationen führt diese Form der Kooperation zu einer Veränderung des Vereinslebens, einem Anpassungsdruck auf die interne Governance-Struktur sowie zu Problemen der Multifunktionalität. Eine weitere Indienstnahme der Zivilgesellschaft unter Betonung von Effizienzkriterien ist wahrscheinlich. In diesem Kontext ist demokratietheoretisch die PPP als Zwischenstation auf dem Weg zur Vollprivatisierung bedenklich.

Der zweite Tag des Workshops widmete sich unter Leitung von Prof. Dr. Patrick Wagner (Universität Halle-Wittenberg) der internationalen Dimension bürgergesellschaftlichen Handelns. In seinem Inputreferat „NGOs und Global Governance“ thematisierte Dr. R. Sprengel (Universität Halle-Wittenberg) die Frage der Legitimität der von internationalen Organisationen als Vertretungen bürger- bzw. zivilgesellschaftlichen Handelns anerkannten Organisationen. Im Unterschied zur nationalen oder lokalen Ebene kann auf globaler Ebene Legitimität nicht das Ergebnis von Legalität und allgemein verabredeten politischen Prozessen (= Wahlen) sein. Mithin wird, so die verbreitete These, Legitimität zum Ergebnis von Accountability, die einerseits NGOs unter Druck setzt, möglichst weit gefasste (globale) Bedingungen ihrer zu formulieren, denen aber um so schwieriger zu entsprechen ist, je größer die Ansprüche formuliert werden.

Diskussionsgegenstand der anschließenden Arbeitsgruppen waren die „global civil society“ hinsichtlich der Grenzen und Möglichkeiten ihrer Entwicklung sowie transnationale Gruppen bzw. Netzwerke. Als Definition einer solchen globalen Zivilgesellschaft (ZG) lassen sich drei Modelle denken: Die globale ZG als Summe aller regionalen ZG, eine über nationalstaatliche Grenzen hinausreichende ZG und Organisationsformen, die ein gemeinsames Ziel verfolgen, folglich also in verschiedenen Staaten oder auf der Ebene der internationalen Organisationen gemeinsame Adressaten haben. Die Rolle des Staates besteht hier vor allem in der Schaffung eines durch eine Gesetzgebung garantierten Rahmens zivilgesellschaftlichen Handelns, wobei eine gemeinsame Agenda vorgibt, welche Art von ZG sich formen läßt.

In einem zweiten Analyseschritt wurden dann Thesen nach der Entstehung einer globalen Bürgergesellschaft durch die transnationale Vernetzung und Aktivität von NGOs und einer (möglichen) Entstehung transnationaler Vernetzung zur erneuten „Missionierung“ der Welt durch europäische Werte und Politikmodelle kontrovers diskutiert. Hierbei kristallisierte sich der normative Aspekt als Kern des Problems heraus. Einerseits könnten durch eine transnationale Vernetzung Globalisierungsprozesse zivilgesellschaftlich begleitet werden, andererseits stellt sich dann die Frage nach normativen Zuschreibungen zivilgesellschaftlicher Organisationen.

Der dritte Tag des Workshops „Bürgertugend und Bürgergesellschaft“ unter Leitung von Prof. Dr. M.G. Müller und Jun-Prof. Dr. D. de Nève (beide Universität Halle-Wittenberg) widmete sich vor allem der Frage, in welchem Umfang Begriffe wie Bürger- oder Zivilgesellschaft oder auch bürgergesellschaftliches Engagement auch zugleich immer wertgebunden ist, insbesondere in Bezug auf Konzepte von Bürgertugenden. Zweifelsohne sind Bürgertugenden stets an bestimmte Staatsformen und kulturelle Hintergründe gebunden; entsprechend kontrovers wurde vor dem Hintergrund des deutsch-japanischen Vergleiches die Frage der Übertragbarkeit von Konzepten der Bürgertugenden von einen System auf ein anderes diskutiert.

Der Workshop wurde am 08. Oktober abgerundet durch Besuche von verschiedenen bürgergesellschaftlichen Gruppen in Halle, wodurch den Kollegiat(inn)en ein Einblick in ihre Tätigkeiten gegeben wurde.

Den zweiten Teil der Akademie bildete das Symposium „Civil Society in Germany and Japan. Concepts and Practices“, das gemeinsam vom Internationalen Graduiertenkolleg und dem Japanisch-Deutschen Zentrum Berlin (JDZB) am 09. und 10. Oktober in der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina in Halle veranstaltet wurde.

Zum Auftakt hinterfragte Prof. Dr. C. Hann (Max-Planck-Institut für ethnologische Forschung, Halle) die Möglichkeit und Sinnhaftigkeit einer Übertragbarkeit von Zivilgesellschafts konzepten als Analysekategorie auf nicht-europäische Gesellschaften in Anbetracht kultureller Diversivität und der enormen Problemlagen kultureller Translation; gleichzeitig betonte er, dass wenn man vergleiche ein solcher zwischen Japan und Deutschland durchaus sinnvoll sei. Auch sei die in letzter Zeit zunehmend zu beobachtende Tendenz, den Stand von Zivilgesellschaft in unterschiedlichen Gesellschaften durch vergleichende quantifizierende empirische Studien – insbesondere reduziert auf NGOs als vermeintliche Indikatoren für die Stärke von Bürgergesellschaft- zu analysieren, zu hinterfragen: Oftmals sei die steigende Zahl meß- und nachweisbarer Assoziationen lediglich Ausdruck eines schwachen Staates oder internationaler Abhängigkeiten. Ein möglicher Ausweg aus diesem Dilemma sei die vergleichende Analyse von regionalen Vorstellungen von Gesellschaft und Herrschaft – wodurch vermieden werden könne, die dominante soziale Organisationsform Staat aus dem Blick zu verlieren.

In einem Kommentar stimmte Prof. Dr. M. Hettling (Universität Halle-Wittenberg) grundsätzlich zu, problematisierte aber die Anwendbarkeit Henns Bedenken auf Deutschland und Japan; ein deutsch-japanischer Vergleich sei fruchtbar, da beide Länder zwar nicht die gleichen Traditionen haben, sich aber durch analoge Konstellationen und historische Entwicklungen auszeichneten. Weiterhin führte er aus, dass man in der Tat in einem deutsch-japanischen Vergleich europäische Muster nicht privilegieren dürfe, aber nichts desto trotz fragen könne und müsse (1) nach spezifischen Mustern, welche sich in bestimmten historischen und kulturellen Kontexten herausgebildet haben (wodurch nicht zuletzt auch westliche Spezifika herausgearbeitet werden können), und (2) nach freiwilligen oder erzwungenen Adaptionsvorgängen in anderen kulturellen Kontexten, sowie (3) welche Typen des Handelns durch bestimmte Formen institutioneller Regelungen privilegiert werden.

In einem nächsten Block diskutierte zunächst Prof. Dr. N. Yamawaki (University of Tokyo) die Mehrdeutigkeit der Begriffe bürgerliche Gesellschaft, Zivilgesellschaft und Bürgergesellschaft in Deutschland und shimin shakai in Japan. In einem ideengeschichtlichen Überblick mit den Startpunkten 18. Jahrhundert (Europa) und 19. Jahrhundert (Japan) rekapitulierte Yamawaki zunächst die wichtigsten Etappen der Zivilgesellschaftsdebatten bis in die Gegenwart und arbeitete dabei heraus, dass durch die Beeinflussungen japanischer Staatsrechtler durch deutsche Staatsphilosophie und sozialstaatliche Vorstellungen (in der Tradition Hegels und v. Steins) auch in Japan vor dem Krieg bürgerliche Gesellschaft primär im Gegensatz zu einem das Gemeinwohl vertretenden Staat gesehen wurde, mithin primär negativ besetzt war. Populär und mit positiver normativer Zuschreibung (und damit durchaus wieder in Analogie zur bundesdeutschen Entwicklung) wurde das Konzept von shimin shakai in Japan seit den 1960er Jahren verwendet, zunächst jedoch in einem marxistischen Verständnis, was eine fehlende Einbindung in demokratietheoretische Diskussionen in Japan erklärt. Schließlich thematisierte Yamawaki die Methodik künftiger Zivilgesellschaftsforschung, die sich vor allem auf drei Ebenen entwickeln müsse: Zunächst auf einer Ebene der empirischen Forschung zum Verständnis historischer Prozesse und aktueller Realitäten, zweitens auf der Ebene der normativen Theorien (zur Entwicklung eines Idealbildes von Zivilgesellschaft) und drittens schließlich die Ebene der policy-Forschung, welche Handlungsanleitungen zur Erreichung der normativen Zielvorgaben zu erarbeiten habe.

Prof. Dr. S. Murakami (Senshu University, Tokyo) stellte in seiner Antwort auf Prof. Yamawaki den marktwirtschaftlichen Sektor und seine Funktion bei der Herausbildung zivilgesellschaftlicher Strukturen in den Mittelpunkt seiner Erörterungen. Auf der Basis der wissenschaftlichen Arbeiten von Kiyoaki Hirata, Yoshihiko Uchida and Seiji Mochizuki , die die theoretischen Annahmen Zenya Takashimas, Kazuo Okouchis, Hisao Otuskas and Masao Maruyamas erweiterten, betonte er die Bedeutung des Warenaustauschs als einen Anlaß für das Entstehen einer Zivilgesellschaft. In den Schriften der genannten Wissenschaftler werde die Erwartung formuliert, der arbeitende Mensch entwickle sich durch den ökonomischen Prozeß zu einem modernen Individuum. Murakami vertrat die Meinung, dass das Entstehen eines Bewußtseins des Selbst, dem auch Prof. Yamawaki in seinen Überlegungen zu einer bürgerlichen Öffentlichkeit einen zentralen Platz zuweist, vornehmlich im Kontext des modernen Produktionsprozesses, d.h. durch eine Ausweitung der Kommunikation und den Austausch von Waren, die in einem Arbeitsprozeß entstehen, erreicht werde.

Prof. Dr. S. Hirowatari (University of Tokyo) eröffnete am zweiten Tag des Symposiums die Diskussion des Verhältnisses von Rechtswissenschaft und Rechtssystem in Japan und die globale Renaissance der Theorien der Civil Society, welche er zurückführt auf die Rolle der Bürgerbewegungen beim Zusammenbruch der sozialistischen Diktaturen in Osteuropa, das veränderte Verhältnis von Staat und Markt,  die Globalisierung von Umweltproblemen, die Bildung von Civil Societies in Schwellenländern und schließlich die Suche nach alternativen Gesellschaftsentwürfen nach dem Zusammenbruch des Marxismus. Dann stellte Hirowatari die unterschiedliche Verwendung des Konzeptes shimin shakai in der japanischen Rechtswissenschaft vor. Auch hier sei zu konstatieren, dass sie in den Nuancen bürgerliche Gesellschaft, Zivil- und Bürgergesellschaft äußerst vieldeutig bleibt. In der rechtlichen Normensetzung hingegen, beginnend mit dem Verwaltungsrecht sowie dem NPO- und dem Informationsfreiheitsgesetz, sei in den letzten Jahren eindeutig eine Stärkung des Bürgers gegenüber dem Staat zu verzeichnen, was die rechtliche Voraussetzung einer Stärkung der Zivilgesellschaft in Japan bilde und auch die Beziehung von Staat und Bürger in Japan auf eine neue Ebene stelle.

In einem Kommentar arbeitete Prof. Dr. G. Foljanty-Jost (Universität Halle-Wittenberg) als Spezifik der japanischen rechtswissenschaftlichen Diskussion in Bezug auf Zivilgesellschaft heraus, dass diese sich primär auf die Ebene des civil law konzentriere, wobei jedoch die Ebene des public law, die in einer viel nachhaltigeren Weise die Beziehungen von Öffentlich und Privat definierten, weitgehend unberücksichtigt bleibe. Darüber hinaus betonte sie, dass der Staat durch juristische Normsetzungen wie die Definition des rechtlichen Status usw. Zivilgesellschaft forme und auf sie Einfluss nehme, dies aber im Widerspruch zum gängigen Verständnis von Zivilgesellschaft stehe, welches ja in der Freiheit vom Staat eine notwendige Voraussetzung für ihre Herausbildung und ihr zentrales Charakteristikum sehe.

Im vierten Block stellte Prof. Dr. Y. Tsujinaka (University of Tsukuba) die Zwischenergebnisse einer vergleichenden empirischen Studie zu Zivilgesellschaft in elf verschiedenen Ländern (Japan, Deutschland, Südkorea, die USA, China, die Türkei, Russland, die Philippinen, Brasilien, Bangladesch und Usbekistan) vor. Durch den Vergleich arbeitete Tsujinaka als Charakteristikum der japanischen Zivilgesellschaft heraus, dass dieassociation revolution in Japan im Vergleich zu anderen Ländern nur bedingt stattgefunden habe. Noch heute dominieren in Japan Organisationen, die wirtschaftliche Entwicklung als Ziel definieren und auf enge Beziehungen zur Administration setzen.

Der fünfte Block widmete sich der Entwicklung von Bürgergesellschaft in Deutschland und Japan nach 1945. Prof. Dr. T. Olk (Universität Halle-Wittenberg) definierte dabei Bürgergesellschaft auch als spezifische Form sozialer Aktion, welche nicht ausschließlich als Indikator für Zivilgesellschaft verstanden werden könne; sodann rekapitulierte er in groben Zügen die deutsche Entwicklung, wobei er die besondere Rolle der partizipatorischen Revolution seit den 1960er Jahren zur Überwindung autoritärer Herrschaftsstrukturen betonte. Gleichzeitig wies auch er auf ambivalente Entwicklungen hin, etwa die zunehmende Transformation der Wohlfahrtsverbände (eigentlich ein klassischer Akteur zivil gesellschaftlichen Engagements) zu ökonomisch konkurrierenden Akteuren.

Prof. Dr. Y. Ishida (University of Tokyo) wies ebenfalls auf die Ambivalenz der historischen Entwicklung in Japan hin, was er an der Frage der Auseinandersetzung mit der jüngsten Vergangenheit im Japan der Nachkriegszeit illustrierte. Die politischen Konfrontationslinien, die in diesem Themenfeld durch die von außen oktroyierte transnational justice hervorgerufen wurden, haben in Japan zu einer nachhaltigen Spaltung auch zivilgesellschaftlicher Akteure in politische Lager geführt habe, zwischen welchen kaum Kommunikation herrsche.

Dr. Y. Osa (University of Tokyo) schließlich illustrierte am Beispiel der Japan Platform, einem Zusammenschluss von 30 NGOs, des Unternehmerverbandes Nippon Keidanren sowie des japanischen Außenministeriums zur humanitären Hilfe in Katastrophenfällen aktuelle Probleme zivilgesellschaftlichen Engagements in Japan.  Dabei konnte sie eindrücklich belegen, dass die Kooperation mit Akteuren aus Staat und Wirtschaft zwar einerseits  die verfügbaren Ressourcen für die eigenen Aktivitäten erheblich erhöhe, andererseits aber die Unabhängigkeit (durch staatliche Vorgaben und Mitwirkung) auch erheblich einschränke. So bestehe die Gefahr, dass durch Kooperation aus unabhängigen NGOs schließlich (halb-)staatliche Serviceorganisationen würden.

Prof. Dr. G. Mutz (FH München) arbeitete schließlich in einem vergleichenden Kommentar Gemeinsamkeiten und Unterschiede der deutschen und japanischen Befunde heraus. Wie sich etwa am kooperativen Verhalten der Wohlfahrtsverbände zeige, seien sowohl in Deutschland als auch in Japan traditionell starke Beziehungen von bürgergesellschaftlichen Akteuren zum Staat zu konstatieren, mithin also in diesem Sektor eine deutlich geringere Unabhängigkeit von Staat und Zivilgesellschaft zu beobachten, als dies dem gängigen Verständnis entspreche. Weiterhin wies auch Mutz auf die Fruchtbarkeit eines handlungsorientierten Zuganges (etwa in Bezug auf „bürgerliches“ bzw. „ziviles Verhalten“) in der Analyse von Bürgergesellschaft hin.

Die Panelisten der Abschlussdiskussion (Prof. Dr. N. Yamawaki, Prof. Dr. Y. Tsujinaka, Prof. Dr. G. Mutz) arbeiteten erstens noch einmal die hohe Konvergenz der Entwicklung von Bürgergesellschaft in Deutschland und Japan für die Zeit vor 1945 (insbesondere auch das positive Erbe der Weimarer Republik und der Taishô-Demokratie) sowie die Divergenz der Entwicklung insbesondere seit den späten 1960er bis 1980er Jahren heraus. Zweitens wurde nochmals betont, dass ein Vergleich von Deutschland und Japan sensibel sein müsse für die kulturellen Unterschiede und die kulturelle Verortung des Konzeptes Zivilgesellschaft; drittens schließlich wurde die Tragfähigkeit des handlungslogisch orientierten Zuganges zu einer Analyse von Zivilgesellschaft ausgelotet und als künftige Aufgabe das Ausarbeiten einer übergreifenden Definition von „zivilem Verhalten“ angemahnt.

Eine Publikation der Beiträge ist geplant.

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